AUSBLICK – Märkte zwischen Wachstumsenttäuschungen, Reflationshoffnung und Inflationsangst II

Auszug aus Mandantenbrief 3/2021

 

„Sehe keine Chance, dass sich die Inflationsrate in den nächsten zwei bis drei Jahren normalisiert.“

Dr. Hendrik Leber, ACATIS

 

„Wir werden eine Rückkehr zu niedrigeren Inflationsraten sehen.“

Christine Lagarde, EZB-Präsidentin

 

„Das Wissen um den richtigen Zeitpunkt ist der halbe Erfolg.“

Maurice Couve de Murville

 

Im Grundsatz hat sich der Ausblick in den vergangenen drei Monaten nicht verändert. Die Märke stehen unverändert vor einem Zwiespalt zwischen Wachstumsenttäuschungen, Reflationshoffnung und Inflationsangst. In den zurückliegenden drei Monaten ist es den Märkten überraschend gut gelungen, den relativ schmalen Pfad zwischen diesen Klippen zu finden. Mittlerweile nehmen allerdings die Signale zu, dass dies in den kommenden drei Monaten nicht so bleiben dürfte und eine kalte Dusche wahrscheinlicher geworden ist. Viele positive Nachrichten scheinen in den aktuellen Börsenkursen bereits enthalten zu sein, sodass das weitere Potenzial zumindest kurzfristig auf Sicht der nächsten drei Monate limitiert zu sein scheint, während gleich mehrere Faktoren für Enttäuschungen und Verunsicherung sorgen können. Die vorstehende Grafik, die den aktuellen Verlauf des S&P 500 im Vergleich zu seinem saisonalen Muster zeigt, unterstreicht, dass ab Mitte Juli bis in den Oktober eine eher schwierigere Periode bevorsteht.

 

Der zunächst eingängigste Faktor für Marktirritationen könnte die Inflationsentwicklung sein. Aktuell vertraut der Markt, dass diese nur vorübergehend ist und die Notenbanken durch den Inflationsbuckel hindurchschauen werden. Diese Meinung kann bei überraschend hohen Inflationszahlen aber schnell brüchig werden. Mehrere kleinere Notenbanken haben bereits begonnen, ihre Geldpolitik zu straffen. Insofern kann schnell die Sorge aufkommen, dass die FED und EZB möglicherweise bereits „hinter der Kurve“ sind. Auf Sicht der nächsten Wochen ist dabei zunächst nicht von Bedeutung, ob die Inflation zum Jahresende wieder zurückgeht, sondern es würden zunächst Risikopositionen abgestoßen werden. Denn das zugrundeliegende Narrativ für mittel- bis langfristig höherer Inflationszahlen erscheint aufgrund mehrerer struktureller Aspekte schlüssig. Die expansive Geld- und Finanzpolitik erfolgt jetzt im Tandem. In der Vergangenheit, z. B. nach der Finanzkrise, war dies eher gegensätzlich, sodass sich die Effekte ausgeglichen haben. Dieses Mal könnten die Effekte nun mit Wucht durchschlagen. In Verbindung mit der aufgestauten Nachfrage der Privathaushalte besteht nicht nur die Gefahr einer Überhitzung der Wirtschaft – vor allem in den USA –, sondern es könnte vor dem Hintergrund einer dynamischen Erholung der Arbeitsmärkte nach Einschätzung von Bantleon auch zu einer Lohn-Preis-Spirale wie aus dem Lehrbuch kommen. Des Weiteren wird das Arbeitskräftepotenzial aufgrund der demografischen Entwicklung in Ländern wie Deutschland und China in den kommenden Jahren schrumpfen. Dies dürfte die Löhne treiben und der bis 2015 disinflationäre Effekt ist Geschichte. Hinzukommt, dass mittlerweile vor allem in Asien die allgemeine Lohnentwicklung deutlich aufwärts zeigt und die „billigen Werkbänke“ in immer mehr Ländern verschwinden. Zudem sorgen eine Re-Nationalisierung der Wertschöpfungsketten und steigende Zölle für höhere Kosten und Preise. Auch diese beiden Faktoren haben bis vor wenigen Jahren disinflationär gewirkt und entfallen nun.

 

Perspektivisch von den kurzfristigen Marktschwankungen in den nächsten Monaten würde aber eine nachhaltig höhere Inflationsrate, eine Neubewertung aller Assetklassen langfristig zur Folge haben. Früher oder später wären die Notenbanken in diesem Szenario sehr wahrscheinlich gezwungen, wieder eine (deutlich) restriktivere Geldpolitik einzuschlagen. Dies würde vielen Märkten Kapital entziehen und den Effekt der Assetpreisinflation des vergangenen Jahrzehnts umkehren. Je höher die nachhaltige Inflation ausfällt, umso größer wird der Druck auf die Notenbanken zu handeln und die Notwendigkeit restriktiver Maßnahmen. Von deren Schwere dürfte dann abhängen, ob eine eher sukzessive oder ruckartige Anpassung der Assetpreise erfolgt. Dies ist allerdings kein Thema für das kommende Quartal.

 

Ein anderer großer Risikofaktor für eine temporäre Marktkorrektur ist, dass kurzfristig Wirtschafts- und Unternehmensdaten enttäuschen – beides würde interessanter-weise deflationär und damit den Inflationssorgen zumindest auf kurze Sicht entgegenwirken. Es scheint derzeit so, dass das Hoch der Konjunkturüberraschungen hinter uns liegt. Zuletzt sind die Konjunkturüberraschungen sowohl global, bei den G10-Ländern als auch bei den Schwellenländern gefallen. In China sind zuletzt die Einkaufsmanagerindizes enttäuschender als gedacht ausgefallen. Dies kann auf eine Verlangsamung des Wachstums aufgrund einer restriktiveren Geldpolitik, Lieferkettenproblemen oder erneuten Corona-Ausbrüchen hindeuten und die Risikostimmung an den Märkten dämpfen.

 

Die Citigroup Economic Surprise Indizes sind definiert als gewichtete historische, normalisierte Datenüberraschungen (Ist-Releases vs. Bloomberg-Erhebungsmedian) über die letzten drei Monate. Ein positiver Wert des Index deutet darauf hin, dass die Wirtschaftsdaten per saldo den Konsens übertroffen haben. Die Indizes werden täglich in einem rollierenden Dreimonatsfenster berechnet. Die Indizes verwenden eine Zeitzerfallsfunktion, um das begrenzte Gedächtnis der Märkte zu replizieren, d.h. das Gewicht einer Datenüberraschung verringert sich über die Zeit.

 

Des Weiteren zeigt auch ein Modell der Bank of America, dass das globale Ertragswachstum der Unternehmen seinen Höhepunkt überschritten hat. Damit werden die Argumente für Aktien sukzessive schwächer. Auch dies könnte möglicherweise in der beginnenden Berichtssaison zu Enttäuschungen führen.

 

Wir gehen unverändert nicht davon aus, dass eine neue Rezession und damit ein „Crash“ an den Börsen bevor-steht. Für diese Einschätzung spricht, dass die Zinsdifferenz in den USA aktuell positiv ist und kurzfristig nichts auf eine negative Zinsdifferenz hindeutet. In der Vergangenheit war die Zinsstruktur in den letzten Jahrzehnten in den USA jedes Mal vor einem Aktiencrash und einer Rezession invers geworden – sogar vor der Corona-Pandemie, womit sich die Frage stellt, ob ein Crash auch ohne Corona-Virus erfolgt wäre. Damit kann in Bezug auf diesen Indikator vorerst Entwarnung gegeben werden.

 

Das Risiko einer völlig normalen Korrektur im Bereich von – 10 %, die zu jeder Aufwärtsbewegung dazugehört, scheint aktuell aber relativ hoch. Weitere Gründe für eine solche Korrektur könnten geringere Fiskalausgaben sein, wie wir es zuletzt im Kontext mit dem Infrastrukturpaket in den USA erlebt haben, eine geringere Wirkung der aktuell verfügbaren Impfstoffe gegen neue Varianten des Corona-Viruses oder ein gefährlicherer Verlauf sowie (neue) geopolitische Spannungen (z. B. USA vs. China, China vs. Taiwan oder Russland vs. Ukraine).