AUSBLICK – Inflation und das Ende der Geldflut

Auszug aus Mandantenbrief 1/2022

 

„Historisch betrachtet waren Aktien in mehr als 90 Prozent aller Fälle in den USA günstiger bewertet als heute.“

Marcus Hüttinger, Gané AG

 

„Wenn die Musik aufhört, bezogen auf die Liquidität, werden die Dinge kompliziert. Aber solange die Musik spielt, muss man aufstehen und tanzen.“

Chuck Prince, Chef der Citigroup im Juli 2007, wenige Monate später nahm er seinen Hut nach Milliardenverlusten im Zusammenhang mit der beginnenden Hypothektenkrise

 

Die Anleger sind nach drei guten Aktienjahren mit viel Zuversicht in das neue Jahr 2022 gestartet. Beispielsweise sahen 23 in der FAZ am Heiligabend 2021 befragte Banken und Assetmanager für Ende 2022 einen DAX-Stand von durchschnittlich 17.064 Punkten voraus. Die Bandbreite ging von 16.000 bis 18.000 Punkten. Interessanterweise notierte der DAX während der Erstellung des Beitrages am 23. Dezember mit etwa 15.730 Punkten sogar unterhalb der Prognosebandbreite. Mit anderen Worten: Keines der befragten Institute erwartet für 2022 Kursrückgänge. Damit überwiegt das Überraschungspotenzial auf der Unterseite.

 

Die positive Börsenprognose wird vor allem von den Hoffnungen auf eine fortgesetzte aufwärtsgerichtete Weltkonjunktur und weiter steigende Unternehmensgewinne gestützt. Risiken bzw. Dämpfer für das Kurspotenzial ergeben sich vor allem aus dem nachlassenden wirtschaftspolitischen Rückenwind, schwelenden Unsicherheiten in Bezug auf die Pandemie, eine zügigere Straffung der Geldpolitik und mögliche (geo-)politische Ereignisrisiken, die insgesamt für ein schwankungsreiches Marktumfeld sorgen dürften. Dabei gilt als Regel, dass je unerwarteter eine Meldung auf die Märkte trifft, desto höher dürften die Ausschläge sein.

 

Unser eigener Ausblick auf das Jahr 2022 ist eher zurückhaltend. Jahre ohne Korrektur, wie wir es 2021 erlebt haben, sind in der Historie äußerst selten. Zudem ist es bisher rückblickend noch nie gelungen, dass der Aktienmarkt nach einer Straffung der Geldpolitik weich gelandet ist. Wir pflichten daher dem Sentiment-Experten Stephan Heibel bei: „Die Frage ist daher nicht ob, sondern wann wir mal wieder einen Ausverkauf erleben, der in Panik mündet.“ Dabei muss eine Straffung der Geldpolitik nicht unmittelbar (März 2022) zu einer Korrektur führen, sondern dies kann auch erst mit einer gewissen Zeitverzögerung erfolgen.

Straffere Geldpolitik ohne Korrektur wäre ein Novum

Blicken wir auf die Jahre 2013/2014, als die US-Notenbank neben Zinserhöhungen erstmals ihre Anleihekäufe eingestellt hat, und 2018, als sie sogar zusätzlich Anleihen von der Bilanz verkauft hat. In beiden Zeiträumen sind die Aktienmärkte nicht mehr gestiegen bzw. haben Ende 2018 sogar kräftig korrigiert.

Reduktion der FED-Anleihekäufe und Welt-Aktienmarkt

Ein weiteres Warnzeichen in diesem Kontext ist die hohe Korrelation zwischen der Zentralbankliquidität und der Marktkapitalisierung der Top 7-Technologiefirmen, die zuletzt ganz wesentlich für die positive Performance des NASDAQ 100 verantwortlich waren.

Anekdotenhaft weist Citywire bei diesem Vergleich darauf hin, dass Elon Musk gerade vom Time Magazin zur Person des Jahres 2021 gekürt worden ist. Im Jahr 1999 kurz vor dem Platzen der Internetblase wurde Jeff Bezos eben diese Auszeichnung verliehen. Amazon verlor an-schließend fast 90 % seines Marktwertes nachdem die Aktie sich zuvor ähnlich wie Tesla vervielfacht hatte. Dieses Mal könnte es Tesla mit seiner schwindelerregend hohen Bewertung sein, deren Aktienkurs in den kommen-den 18 Monaten bei einer Marktkorrektur kollabiert.

Zentralbankliquidität vs. Marktkapitalisierung der Top 7-Technologiefirmen

Eng mit der Straffung der Geldpolitik hängt die Inflation zusammen bzw. ist sogar der Auslöser für das schnellere Agieren der Notenbanken. Diese gehen mittlerweile nicht mehr davon aus, dass der Anstieg der Inflation nur temporär ist. Dies kann empfindliche Implikationen für den Aktienmarkt mit sich bringen. Bei der Bewertung von Aktien spielt die Inflation historisch eine wichtige Rolle. Als ideal gilt dabei eine Inflationsrate von 1 % bis 2 %. In einem solchen Szenario wird Aktien das höchste KGV (Kurs-Gewinn-Verhältnis) von über 20 zugebilligt. Bei einer Inflationsrate von aktuell in den USA etwa 7 % war in der Vergangenheit ein KGV von 13 zu beobachten. Um dieses Niveau aktuell zu erreichen, müssten sich die Kurse in den USA in etwa halbieren. Vermutlich wird die Inflationsrate in den nächsten Monaten rückläufig sein und sich eher im Bereich von 3 % bis 4 % einpendeln. Aber auch in diesem Fall würde ein Korrekturbedarf von gut 30 % verbleiben.

Angesichts der Inflationsrate müsste das KGV tiefer sein

Des Weiteren ist zu beachten, dass die Inflation zeitlich verzögert auch auf das Wirtschaftswachstum wirkt. Steigende Input-Preise führen zu steigenden Output-Preisen und je schneller die Preise steigen, desto eher drückt dies auch die Nachfrage bzw. das Wirtschaftswachstum. Der Preisanstieg der Rohstoffe läuft dem Wirtschaftswachstum voraus. Dieses wiederum wird von denen, die es wissen müssen, gut abgebildet: den Einkaufsmanagern. Der Einkaufsmanagerindex sinkt in den USA nun bereits seit Monaten, wenn auch nur langsam. Dieser Abwärts-trend dürfte sich jetzt aber beschleunigen. Der Einkaufsmanagerindex wird ziemlich gut von der Veränderung der Rohstoffpreise abgebildet. Für die nächsten 12 bis 18 Monate ist nun mit einer Verlangsamung des Wirtschaftswachstums zu rechnen. Dieses dürfte bis auf 2 % oder weniger zurückgehen. Damit würde ein Stagflationsszenario drohen. Die aktuellen Wirtschaftsprognosen sind hingegen noch deutlich optimistischer, sodass hier in den kommenden Monaten negatives Überraschungspotenzial für die Märkte gegeben ist. Ebenso könnte die US-Notenbank in einigen Monaten überrascht sein, wie schnell sich die Wirtschaft abkühlt und dass sie möglicherweise übersteuert hat.

Wie aus dem Lehrbuch: Einkaufsmanagerindex folgt Rohstoff-preisen

Vor diesem Hintergrund wird auch die aktuelle Berichtssaison von großem Interesse sein. Bis zum 17. Januar 2022 hatten erst 5 % der Unternehmen ihre Zahlen vor-gelegt, aber eine erste Tendenz zeigt (erwartete) Gewinnrückgänge von knapp 4 % gegenüber dem Vorquartal. Interessant dabei ist bisher aber, dass Unternehmen – dank Inflation – häufiger beim Umsatz als beim Gewinn die Erwartungen übertreffen können. Möglicherweise ist dies ein erstes Anzeichen, dass die Inflation beginnt, die Margen zu belasten. Der Markt dürfte damit nun in eine neue Phase eintreten, in welcher sich das Gewinnwachstum verlangsamt. Solche Trendwechsel (sich beschleunigendes vs. sich verlangsamendes Wachstum) gehen nicht selten mit Korrekturen einher, wobei dies nicht unmittelbar geschehen muss. Dabei gilt, je schneller die Verlangsamung des Gewinnwachstums ist, desto problematischer für den Markt.

 

Weitere Warnzeichen für die in 2022 nicht unkritische Ausgangslage der Börsen sind folgende Beobachtungen:

  • Laut der Bank of America überstiegen die Zuflüsse der vergangenen 12 Monate an den internationalen Aktienmärkten die Summe der Zuflüsse der 19 Jahre zuvor. Der Investitionsgrad der Anleger scheint aufgrund mangelnder Anlagealternativen gegenwärtig bereits sehr hoch zu sein.
  • Die geringe Marktbreite in den USA ist ein Anlass zur Sorge. Dies war in der Vergangenheit regelmäßig am Ende einer Aufwärtsbewegung zu beobachten.
  • Der DAX fällt im historischen Durchschnitt zweimal um mehr als 10 % im Jahr – dies ist seit Herbst 2020 nicht mehr geschehen.
  • Die sogenannte „Margin Debt“ – Geldbetrag, den sich Anleger gegen Zinsen leihen, um Wertpapiere zu kaufen – ist in den USA zwischenzeitlich um über 70 % im Vorjahresvergleich nach oben geschossen. Im Dezember lag der Zuwachs noch immer bei über 40 % und der Gesamtbetrag mit rund 940 Milliarden US-Dollar nahe des Allzeithochs. Die Gefahr ist nun, dass bei Kursverlusten Anleger zunehmend Notverkäufe tätigen müssen, um die geliehenen Gelder zurückzuführen. Im letzten Vierteljahrhundert ist das Wachstum der Margin Debt nur dreimal in einer solchen Spitze ausgelaufen: Unmittelbar vor dem Platzen der Internetblase, vor der Finanzmarktkrise und aktuell.

 

S&P500 Index vs. Margin Debt Growth

Insgesamt bedeutet dies nicht, dass die Kurse nicht weiter steigen können. Allerdings befinden wir uns mittlerweile in einem Umfeld, in dem wir perspektivisch mehr Gefahren als Chancen sehen. Kurzfristig hält die Geldflut der Notenbanken noch an, aber ab April sollte man vor-sichtiger agieren und vielleicht langsam intensiver darüber nachdenken, wer die Gewinner des nächsten Zyklus sein könnten, wenn hochbewertete und defizitäre Technologiefirmen aus der Mode kommen.

 

Der große Bullenmarkt: Werden die Gewinner von gestern auch noch morgen die Ersten sein?

Seit März 2009 haben die US-Börsen (+ 612 %) den Rest der Welt (Eurozone: + 150 %, Schwellenländer: + 154 %, Japan: + 142 %) deutlich outperformt. Vermutlich hängt dies thematisch mit der Technologie-Dominanz der US-Börsen zusammen. Was werden die neuen Trends sein? Klimawandel? Gesundheit? …? Welche Regionen werden hier führend sein?